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Im Land der Dichter und Denker
Zum Auftakt 2019 gastierte Civas Gang in Bautzen. Zweieinhalb Stunden Fahrt trennen Babelsberg und die historische Altstadt an der Spree. Ein kurzer Abstecher in die durch Senf und Knast berühmt gewordene Metropole der ostsächsischen Oberlausitz war bei bestem Frühlingswetter obligatorisch. Der Auftakt zur Abschiedstour des Teenie-Schwarms war mit einigen Überraschungen gespickt. Erstens darf seit Bautzen nie wieder jemand über die Musik-Auswahl im Karli meckern und zweitens hielt die Startelf einige Neuerungen bereit.
Frühzeitig angereist blieb Zeit für einen Stop auf der Friedensbrücke mit Blick über die mittelalterliche Stadtsilhouette und einen kleinen Stadtrundgang mit Besuch im Dom St. Petri. Die Friedensbrüche, ehemals Kronprinzenbrücke, erlaubt einen famosen Blick über das tief eingeschnittene Tal der Spree sowie die westlichen Stadtbefestigungsanlagen Bautzens mit den diversen Wehr- und Kirchtürmen. Der Petridom am Fleischmarkt ist eine der größten Simultankirchen Deutschlands und das höchste Bauwerk in Bautzen. In den 64 Simultankirchen in Deutschland – nur drei davon in Ostdeutschland - sind die römisch-katholisch und evangelisch-lutherisch Konfession paritätisch vertreten. Bemerkenswert ist der starke Achsenknick im Grundriss des Kirchenbaus.
Das Stadion mit dem schönen Namen Müllerwiese liegt südlich außerhalb der Altstadt im Spreetal. Die Talbrücke westlich des Bahnhofs Bautzen überspannt die Spree und gibt dem Stadion ein besonderes Merkmal. Die überaus gepflegte Anlage ist allerdings sehr weitläufig. Vielleicht meinen die Verantwortlichen auch deshalb, die nicht vorhandene Atmosphäre mit Ballermann-Hits aufladen zu müssen. Die Musikauswahl jammert den berüchtigten Hund. Auf der Müllerwiese kommt keiner auf die Idee, dass wäre das Land der Dichter und Denker, geschweige denn der Komponisten und Musiker.
Die dem hiesigen Fußballfreund fremde Musik lässt sich über einprägsame Zeilen im weltweiten Netz wiederfinden. Da gibt es beispielsweise ein Lied über einen Kölner Fußballprofi, dass wie folgt geht:
Wer trinkt Schnaps vorm Dopingtest?
Anthony Modeste
Wer gibt Donald Trump den Rest?
Anthony Modeste
Wer ist voll an jedem Fest?
Anthony Modeste
Und wer verklebt das Playboyheft?
Anthony Modeste
Wer hoffte, die Beschallung würde in der Folge vielleicht eine größere Bandbreite des Musikgeschmacks abbilden, sah sich leider getäuscht. Eine weiteres Lied ging folgendermaßen:
Hey es geht uns gut dreht die Boxen auf
Das Wochenende ruft, denn wir sind gut drauf
Mach mal laut und eins zwo drei vier
Meine Gang am Start hierPosten was auf Instagram, treffen uns auf JOYclub, Mann
Facebook, Snapchat, gib dir mal mein Hashtag
Nicht an morgen denken, einfach in die Nacht springen
Schnauze voll, Alkohol
Kann mal einer Schnapps bringen?
Und kurz vor dem Hörsturz legt der Stadion-DJ folgenden Song auf:
Ich steige aus dem Flieger
Die Insel hat mich wieder
Das Dosenbier Und auch die Sonne knallt
Ich freu mich schon wie hulle
Und kauf die nächste Pulle
Ab jetzt zählt nur der AlkoholgehaltDenn wir sind Mallorca Ultras
Geben eine Woche Vollgas
Unser Leben, uns‘re Liebe Ist die Insel tief im Süden
Angesichts dieser musikalischen Indoktrination würde man sich über allgemeine und spezielle Verhaltensstörungen der beschallten Zuschauer nicht wundern. Es ist aber absolut interessant zu sehen, dass von den 491 Zuschauern augenscheinlich niemand in irgendeiner Art und Weise eine Reaktion auf die musikalische Druckbetankung zeigt. Entweder sind die Bautzner Stadionbesucher akustisch bereits soweit degeneriert, dass von den Ballermann-Hits und ihren Texten nichts mehr ins Gehirn vordringt oder die Gäste haben sich in die innere Emigration zurückgezogen und ertragen die unerträgliche Dauerbeschallung bewusst klaglos.
Es half nichts: Die (nicht-akustischen) äußeren Bedingungen waren gut und zwei Mannschaften standen auf dem Platz. Also pfiff der jugendliche Referee Chris Rauschenberg (26 Jahre, zweite Regionalliga-Saison) die Begegnung an. Alme Civa zeigte mit seiner Aufstellung erneut, dass jeder Kicker seine Chance bekommt: Marco Flügel stand für Marvin Gladrow im Kasten. Lukas Wilton kehrt nach Verletzung zurück und agierte an der Seite von Franko Uzelac in der Innenverteidigung. Fabrice Montcheu mit seinem ersten Startelf-Einsatz auf links und Lio Salla auf rechts verteidigten außen. Davor setzte Civa auf Kapitän Hoffmann, Danko, Abderrahmane, Koch und Igbinigie. In vorderster Front stand Torjäger Nattermann.
Bautzen hatte zuletzt in Fürstenwalde knapp verloren und steht mit dem Rücken zur Wand. Doch nicht nur die Gastgeber begannen nervös. Gegenüber den guten Eindrücken der Vorbereitung zeigte die Anfangsviertelstunde unserer Nulldreier, dass Testspiele und Punktekampf doch zwei verschiedene paar Schuhe sind. Das Unheil nahm zunächst seinen Lauf, als Bautzen nach Babelsberger Ballverlust schnell umschaltete. Ein Diagonalball auf Bautzens rechte Angriffsseite brachte Fabrice Montcheu in große Not. Der Budissa-Angreifer nahm die Gelegenheit gerne wahr und kreuzte nach Ballannahme den Laufweg. Am Foulspiel gab es nichts zu deuteln, Der Schiri schien es zunächst bei Freistoß und gelb belassen zu wollen, nach augenscheinlicher Rücksprache mit dem Assistenten entschied er aber auf Notbremse und glatt Rot. Wie schon in Chemnitz, als Kapitän Saalbach frühzeitig duschen durfte, war auch auf der Müllerwiese eine frühzeitige Schwächung unserer Elf zu verkraften. Die Fernsehbilder zeigten später, dass es Montcheu keineswegs als letzter Mann agierte und Lukas Wilton noch hätte eingreifen können. Doch alles Lamento nutzte nichts.
In der Folge übernahm Bautzen die Regie auf dem Platz, während sich unsere Elf auf die Verteidigung konzentrierte. Das gelang auch über weite Strecken gut, allerdings fehlten eigene Offensiv-Akzente in Hälfte eins nahezu vollständig. Lange Bälle auf den vorn ackernden Nattermann waren kein probates Mittel und Igbinigie, Abderrahmane und Hoffmann waren stark in die Defensivarbeit eingebunden. Hinten wurden brenzlige Situationen mit Glück und Geschick gelöst, wobei Marco Flügel aufmerksam mitspielte.
Mit 0:0 ging es in die Pause. Pünktlich mit dem Halbzeitpfiff setzte wiederum die überaus lästige Beschallung ein. Alme Civa nutzte die Halbzeit, um taktisch umzustellen. Godbless blieb in der Kabine, dafür kam Sven Reimann als zusätzlicher Stabilisator auf den Platz. Dennoch fiel in der zweiten Hälfte bereits nach fünf Minuten der 1:0 Führungstreffer für Budissa. Der auffällige Ex-Zwickauer Schlicht spielte einen tiefen Ball auf Böhnisch. Leo Koch konnte den Angreifer zwar nahe der Grundlinie stellen, den Ball aber nicht klären. So passte Böhnisch parallel zur Grundlinie auf den zweiten Pfosten auf den durchgelaufenen Schmidt, der keine Mühe hatte, einzunetzen.
Das Spiel schien trotz guter Vorbereitung eine unerfreuliche Entwicklung zu nehmen, aber die Gastgeber schalteten umgehend einen Gang zurück. Unsere Nulldreier hingegen überahmen nun verstärkt die Initiative und kamen zum zuvor kaum für möglich gehaltenen Ausgleich. Einen Freistoß brachte Hoffmann an den Fünfmeterraum, dort löste sich Reimann von seinem Bewacher und köpfte sehenswert und präzise ins lange Eck. Der Bautzner Goalie streckte sich, hatte aber schließlich keine Chance, den Einschlag zu verhindern. Reimes Einwechslung hatte sich unmittelbar bezahlt gemacht.
Babelsberg blieb am Drücker, Bautzen war von der Rolle. Nur drei Zeigerumdrehungen weiter passte Nattermann aus halblinker Position auf Geburtstagskind Farid Abderrahmane am rechten Flügel. Der ließ überaus geschickt zwei Verteidiger ins Leere laufen und passte ins Zentrum, wo Manuel Hoffmann nur noch die Kelle hinhalten musste. Der Jubel über die gedrehte Partie war ausgelassen. Jetzt hatte Nulldrei Oberwasser und die Gastgeber noch größere Sorgen. Sie intensivierten ihre Bemühungen nochmals und kamen auch zwei, drei mal gefährlich über die außen nach vorn. Doch meistens blieben sie im verdichteten Zentrum hängen.
Alme Civa reagierte nochmals personell und brachte mit Wolf für Nattermann und Neuzugang Rangelov für Abderrahmane zwei frische Kräfte. Doch der finale Akt, für den ein Standard herhalten musste, blieb den Gastgebern vorbehalten. Nach Ecke traf Krahl aus dem Getümmel am Fünfmeterraum zum letztlich nicht unverdienten Ausgleich. In der Nachspielzeit hatten beide Teams die Möglichkeit, den Lucky Punch zu setzen, doch erst parierte der FSV Keeper einen Danko-Abschluss sehenswert mit einer Hand, dann verfehlte ein flacher Abschluss der schwarzen-weißen Budissen den Flügel-Kasten äußerst knapp.
So blieb es bei der letztlich wohl gerechten Punkteteilung, wie schon in Chemnitz hätte der Babelsberger Sympathisant gern gesehen, wie die Partie elf gegen elf ausgegangen wäre. So blieb dem aufmerksamen Beobachter nur der Weg aufs Klo. Da allerdings machte sich ein Einheimischer Luft und beklagte sich mit starken Worten über fehlende Spielidee Budissa Coaches Gütschow. Ein letzter Blick über die Müllerwiese, die Altstadt sowie die Friedensbrücke und dann kommt Leipzig!