Babelsberger Fußball- Legenden
Hans Schöne
Gäbe es eine Weltbestenliste über Hattrick-Rekorde, Hans Schöne, einer der herausragensten Babelsberger Fußballer aller Zeiten, hätte große Aussichten, einen vorderen Platz zu belegen. Am 1. November, einem düsteren Herbstsonntag des Jahres 1942, schaffte er in einem Punktspiel seines damaligen Vereins Breslau 02 in der obersten Spielklasse von Niederschlesien gegen Tuspo Liegnitz (15:1) das Kunststück, dreimal drei Treffer hintereinander in einer Halbzeit zu markieren. Da er in dieser Partie noch drei weitere Male außer der Reihe den gegnerischen Schlußmann überwand, brachte er es summa summarum auf zwölf “Einschläge”. Zur gleichen Zeit an jenem Novembersonntag vor 61 Jahren hätten die damaligen Babelsberger Spitzenkicker runde 300 km weiter nordwestwärts mit Handkuß einen derartigen “Goalgetter” in ihre Stürmerreihen aufgenommen, verloren sie doch am Horstweg ein ungemein wichtiges Spiel gegen den heißen Konkurrenten um den Staffelsieg in der zweithöchsten Berlin-brandenburgischen Klasse, den zweifachen Deutschen Meister Viktoria 89 Berlin, mit 1:2, schossen dabei nur ein Elfmetertor durch “Orje” Mebes, der seit Jahren nur noch als Verteidiger eingesetzt wurde. Fast ein halbes Jahr sollte es dann dauern, bis im letzten Punktspiel jener Saison die Scharte gegen denselben Gegner in Berlin-Mariendorf mit 5:1 ausgewetzt und die Staffelmeisterschaft errungen war.
Zu dieser Zeit war “Hanne”, wie er von seinen Kameraden gerufen wurde, 22 Jahre alt. Am 23.April 1920 in Oberhausen (Ruhrgebiet) geboren, spielte er in jungen Jahren auch in Eindhoven (Niederlande), wo sein Vater als Glasbläser tätig war, und in Weißwasser. Schon früh war sein vielseitiges fußballerisches Talent deutlich erkennbar, doch der 1939 von Hitlerdeutschland entfesselte zweite Weltkrieg nahm ihm auch sportlich die besten Jahre oder beeinträchtigte sie zumindest stark, verhinderte internationale Bewährungen. Während des Krieges war Hans Schöne als Soldat in verschiedene Gegenden abkommandiert, so in Görlitz, Straßburg und Breslau. Bis 1943 konnte er, wenn auch durch die Umstände behindert, annähernd regelmäßig Fußball spielen. Mit der Straßburger Mannschaft wurde er 1942 Elsaßmeister, nahm an der erstmals wieder im K.O. - System ausgetragenen Deutschen Meisterschaft teil und errang mit seiner Elf überraschende Siege gegen die Stuttgarter Kickers (2:0) und den 1.FC Schweinfurt 05 (2:1), im vorigen Jahr noch mit Nulldrei Zweitliga-Absteiger, damals mit den vielfachen Außenläufer-Nationalspielern Kupfer und Kitzinger eine der stärksten bayerischen Mannschaften. Erst im Viertelfinale war mit 0:6 Endstation beim überragenden FC Schalke 04, der dann auch den Titel holte. Schöne war wegen eines Armbruchs in der Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn nicht dabei. Die nächste Station war dann Breslau. Mit Breslau 02 wurde “Hanne” 1943 niederschlesischer Pokalsieger, im deutschen Vereinspokal hatte er im Achtelfinale eines seiner größten Fußballerlebnisse, als er mit der Breslauer Truppe am 19.September 1943 vor 25000 Zuschauern im Wiener Praterstadion beim kommenden Cupgewinner Vienna Wien, seinerzeit eine berühmte Mannschaft, nur 5:6 nach dramatischem Kampf, unterlag. Als Mittelstürmer führte er den Angriff der Niederschlesier, in dem mit Klingler, Schaletzki und Plener drei Nationalspieler standen.
Nach dem Krieg landete Hans Schöne bald in Cottbus, wo er bedeutende Erfolge errang. 1947 und 1948 wurde er mit der SG Cottbus-Ost Brandenburgischer Landesmeister. Er war die hervorstechenste Persönlichkeit dieser Elf, im 1:0 gewonnenen 1948er Endspiel gegen Babelsberg scheiterte er mit einem Elfer an seinem späteren Torwart-Kameraden “Schrippe” Schröder. Die “Neue Fußball-Woche” bezeichnete ihn am 20.Dezember 1949 als besten Stürmer des Landes Brandenburg.
Zu Beginn der Saison 1950/51 wechselte “Hanne” im Alter von 30 Jahren, begleitet von seinen Mannschaftskollegen Karl-Heinz Wohlfarth und Harry Adam, nach Babelsberg. Für Jahrzehnte spielte Cottbus nun im DDR-Spitzenfußball keine Rolle mehr. Babelsberg sollte die längste, erfolgreichste und letzte Station in Hans Schönes Laufbahn werden. Schon in einem seiner ersten Spiele für die Filmstädter demonstrierte er am 26.August 1950 im Viertelfinale des FDGB-Pokals im “Karli” gegen Sachsenverlag Dresden seine außergewöhnliche Schußkraft und -technik, beim 11:0-Sieg gegen den Oberliga-Aufsteiger schoß er sage und schreibe sieben Tore. Vor allem in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre war er ein regelrechter Schrecken für die Torhüter in der DDR-Oberliga. Insgesamt erzielte er in acht Jahren, mehrere Jahre als Kapitän, in 214 Oberliga-Einsätzen für Rotation Babelsberg 113 Tore. In der Saison 1950/51 traf er 38mal in 31 Partien - ein einsamer Rekord für Babelsberg. Es gab auch keinen anderen Torschützenkönig in der höchsten DDR-Klasse, der jemals mehr als ein Tor im Durchschnitt pro Punktspiel erreichte. Jahrelang war “Hanne” Schöne in der DDR einmalig in Schußkraft und Schußvermögen, in der Attraktivität seiner “Raketen”. Wer je Augenzeuge war, wird diese Momente nie vergessen. Ich erinnere mich zum Beispiel an Ostern 1953, als er sich im Spiel gegen den kommenden DDR-Meister Dynamo Dresden (2:2) den Ball außerhalb der Strafraumgrenze zum Freistoß im spitzen Winkel zurechtlegte. Ausführung des Schusses, Einschlag im Kasten des Dresdner Torwarts Kiesewetter und frenetischer Jubel der Fans waren zeitgleich kaum zu trennen. In einem Freundschaftsspiel gegen Tennis Borussia aus der obersten Klasse von Berlin (West) am 30.Mai 1954 im “Karli”, das 5:1 gewonnen wurde, nahm er auf Rechtsaußenposition aus 40 Metern Entfernung einen Ball aus der Luft an und knallte ihn mit derartiger Wucht und Präzision ins Tor, dass die gegnerischen repräsentativen Könner Gerhard Graf und Fritz Wilde ihm spontan gratulierten.
Es wäre ungerecht, würde man die großen fußballerischen Fähigkeiten von Hans Schöne auf seine Torerfolge reduzieren. Er war ein erstklassiger Stratege, perfekt im Umgang mit dem Ball, konnte ein Spiel dirigieren, ob nun von der Mittelstürmerposition, als Rechtsaußen oder aus dem Mittelfeld heraus. “Hanne” war dabei keineswegs ein “bequemer” Spieler. Er war von Stimmungen abhängig, winkte schnell resigniert und schimpfend ab, wenn ihn der Pass eines Kameraden nicht erreichte. Schon im nächsten Augenblick aber konnte er aus 30 Metern ein Tor schießen, das die Zuschauer von den Sitzen riß. Seine “Marotte”, ein meist aus der Sporthose heraushängendes Taschentuch, wurde in seiner Auswirkung auf die Mannschaft und den Spielverlauf wohl überschätzt.
In jüngeren Jahren hatte der Krieg “Hanne” die Möglichkeit internationaler Berufungen genommen - in friedlichen Zeiten hätte Nationaltrainer Sepp Herberger dieses große Talent mit Sicherheit nicht übersehen. In Babelsberg wurde er dann auch über die DDR-Grenzen bekannt. Es muß ein großer Augenblick im Leben des Hans Schöne gewesen sein, als er am 18.Mai 1952 als Kapitän der DDR-Nationalmannschaft in einem inoffiziellen Länderspiel in Budapest gegen die damalige Weltspitze darstellende, vier Jahre ungeschlagene ungarische Auswahl, die Mannschaften neben dem Jahrhundertfußballer Ferenc Puskas aufs Feld führte. Noch oft stand er in Auswahlvertretungen, bei den III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1951 in Berlin wirkte in der DDR-Mannschaft bei den beiden Spielen gegen Dynamo Moskau mit. Seine drei offiziellen Länderspiele 1954 gegen Rümänien, Polen und Bulgarien bestritt er 34jährig als Außenläufer. Zum letzten Mal lief er in einem Punktspiel für Rotation Babelsberg nach dem Abstieg aus der DDR-Oberliga am 15.März 1959 im “Karli” gegen Einheit Greifswald (1:1) auf. Nach seiner aktiven Zeit blieb Hans Schöne dem Fußball treu, unter anderem als Übungsleiter beim SC Potsdam und bei Motor Babelsberg. Beruflich war er über drei Jahrzehnte als Bildredakteur bei der “Märkischen Volksstimme” tätig.
Hans Schöne verstarb, von einer großen Fußballgemeinde betrauert, am 3.August 1989 im 70.Lebensjahr. Er bleibt in Erinnerung als eine der bedeutensten Erscheinungen im Fußballsport unserer Stadt, für immer an vorderster Stelle in seien Annalen verankert.
von Peter Rosenzweig