klapperzahn 2. teil vorherige seite inhaltsverzeichnis nächste seite

Das Meisterschaftsspiel war noch nicht zu Ende, und schon waren die ausländischen Zeitungen voll Nachrichten über die Klapperzahn- Jungen. Die Berichterstatter der großen europäischen Sportblätter reisten nach Frag, um jenes "Wunder des grünen Rasens" zu sehen. Nacheinander erschienen in der ärmlichen Hütte in Nieder-Buckwitz verschiedene fremde Herren in Raglanmänteln und Sportmützen, die dem alten Klapperzahn Spiele im Ausland anboten. Der härte sich alles aufmerksam an, nahm aus der Schublade einen alten Kalender, vermerkte darin, was ihm jeder dieser Männer versprach, und grübelte dann oft stundenlang über seinen Notizen. Die Jungen wußten, daß der Vater etwas für sie vorbereitete, aber solange sie nicht den Meistertitel in der Tasche hatten, fragten sie nicht unnötig. Als sie aber ihr berühmtes Spiel gegen Slavia geliefert hatten, kauften sie alle Zeitungen, in denen seitenlange Artikel über sie mit ihren Fotos waren, und brachten sie der Mutter. Die Arme weinte vor Freude, daß ihre Jungen berühmt und geehrt waren, und sie war dankbar, daß sie nun alles hinter sich hatten und sich nicht mehr abrackern mußten. " Was redest du bloß für einen Unsinn, Marie!" sagte der alte Klapperzahn.
"Ach, so lange waren sie Lehrburschen und Gesellen", antwortete die Mutter, "es tat mir immer leid, wie sie sich abhetzen mußten. Jetzt sind sie endlich Meister und können sich ausruhen wie der Meister Kopejtko. Immerfort mußte er sich schinden, aber jetzt hat er's geschafft: er ist der Herr, und die Arbeit machen seine Gesellen!" "Du meine Güte, Marie", entgegnete Klapperzahn und schüttelte unwillig den Kopf, "ihr Weiber werdet auch nie etwas vom Sport verstehen! Du bildest dir wohl ein, daß wir uns jetzt elf junge Männer mieten, die für uns Fußballspielen, und wir brauchen nur noch zuzugucken?" "Selbstverständlich! Wäre das nicht das Vernünftigste?" "Nein, das habe ich ja mein Lebtag noch nicht gehört! Was sich so eine törichte Frau ausdenken kann! Jetzt fangen unsere Sorgen doch erst richtig an ... Jungs, kommt mal her!" Der alte Klapperzahn nahm seinen Kalender zur Hand, klopfte seine Pfeife aus, setzte sich die Brille auf, und nachdem er Umschau gehalten hatte, ob sie auch vollzählig waren, sagt er: "Da wir alle beisammen sind, so seht mal dem Jura auf die Nase."
Alle drehten sich nach Jura hin um. Der wurde puterrot, aber an seiner Nase war nichts zu entdecken. "Seht nur gut hin", sagte der Vater, "wie hoch er jetzt seine Nase trägt, weil er gegen Slavia drei Tore geschossen hat. Und ihr andern seid auch nicht viel besser. Als ob mit dem Sieg in Böhmen schon alles getan wäre. Gut, ihr habt die Meisterschaft der ersten Klasse errungen. Ihr seid die beste Mannschaft im Lande, sehr schön. Aber wollt ihr euch auf euren Lorbeeren ausruhen? Denkt ihr etwa, das genügt bis ans Lebensende? Ich glaube, das wäre ein großer Fehler. Der Mensch muß immer etwas mehr wollen und höher streben, solange er lebt. Wer zu Hause Meister geworden ist, muß Weltmeister werden wollen. Und er darf nicht stehenbleiben, solange es überhaupt noch etwas gibt, was er erreichen könnte. Und für euch bleibt noch fast alles zu tun. Tragt deshalb eure Nase wieder schön gerade und gebt nicht so an. Es kann sich noch immer jemand finden, der euch sieben zu null schlägt.
Ich habe in dieser Angelegenheit mit vielen bedeutenden Leuten gesprochen und mich entschlossen, mal in Europa Umschau zu halten. Hier habe ich aufgeschrieben, wohin wir fahren werden. Berlin, Hamburg, Kopenhagen, Oslo, Stockholm, Warschau, Budapest, Wien, Zürich, Mailand, Marseille, Barcelona, Lyon, Paris, Brüssel, Amsterdam und London. Erst wenn ihr diese Städte alle besiegt habt, dann könnt ihr meinetwegen eure Nasen in die Wolken stecken. Aber bis es soweit ist, wird euch die Lust dazu schon noch vergehen. - Geht jetzt und packt eure Sachen. übermorgen fahren wir nach Deutschland!"
Andächtig hatten die Jungen gelauscht, aber als er geendet hatte, stürzten sie mit einem fürchterlichen Gebrüll aufeinander los und prügelten sich vor Freude, da es nun in die Welt gehen sollte. Dann brachten sie eine Landkarte herbei und zeigten einander, was sie alles sehen würden. Sie umarmten die Mutter und den Vater, und Jura kroch in die Hundehütte wo er dem knurrenden Lumpi erklärte, wohin die Reise gehen solle. Am Abend mußte ihnen der alte Klapperzahn mit dem Stock drohen, damit er sie ins Bett bekam. Nachdem er die Petroleumlampe ausgedreht hatte und selbst schlafen gegangen war, erhob sich Jura, beugte sich über Franz, brüllte "Dänemark!" und gab ihm einen Stoß in die Rippen, Franz schrie "Schweiz!" und nahm Jura in den Schwitz-kasten. Und die übrigen schrien durcheinander. "Mensch, Norwegen!" - "Du Schlaumeier, Berlin!" - "Und Paris!" Ach was, Spanien!" "England!". Und im Finstern veranstalteten sie eine Kissenschlacht mit großer Keilerei und Schneegestöber, bis sie alle außer Atem waren. Dann setzten sie sich auf die Betten und berieten, wie und wo sie gegen wen spielen würden. Mit solchem Eifer waren sie in ihre Gespräche vertieft, daß es darüber Morgen wurde.
Am nächsten Tag schien die ganze Hütte der Klapperzähne auf den Beinen zu sein. Die Jungen rannten hin und her. Sie schleppten Sachen herbei, von denen sie glaubten, daß sie für die Reise unbedingt nötig seien; nach einer Weile trugen sie sie als unbrauchbar wieder weg und brachten neuen Kram. Überall war Lärm und Geschrei, und erst am Abend, als das Gepäck zusammengetragen worden war und sie zum letzten Mal beim Abendbrot um den Tisch saßen, trat Ruhe ein. Die Mutter weinte, als sie am nächsten Morgen Abschied von ihr nahmen, und es war ihr wahrlich sehr traurig zumute, als sie allein in die Hütte zurückgehen mußte. Nur Lumpi war bei ihr und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Manchmal blieb er jedoch zurück, weil er sich gerade kratzen mußte.
Nach einer Woche kam ein Postbote in die Hütte und brachte ein Telegramm. ,,12: 0 in Berlin gesiegt stop alles wohlauf" "Gott sei Dank!" seufzte die Mutter und holte tief Atem. "Ich verstehe ja nichts davon, ich bin ja nur ein altmodisches Frauenzimmer, aber wenn diese Null da nicht wäre, wer weiß, wie der Vater zanken würde!" Und bald kam ein Telegramm nach dem anderen, eine Zeitung folgte der anderen, und ebenso viele Briefe flatterten ins Haus, und überall las man nur von den Siegen.
In einem großen Bogen fuhren die Klapperzähne von Nordeuropa nach dem Süden, und als sie Mailand 6: 0 geschlagen hatten, fuhren sie geradewegs nach Spanien. Das waren nun längst nicht mehr jene schüchternen Dorf jungen, die damals so verlegen auf dem Prager Fußballplatz erschienen waren. Sie hatten sich in der Welt umgesehen und Schliff bekommen, sie trugen elegante Maßanzüge, moderne spitze Schuhe und die neuesten Sportmützen. Alle waren große Modenarren; nur der alte Klapperzahn hatte sich überhaupt nicht verändert. "Wer von mir etwas will, nimmt mich so, wie ich bin!" sagte er zu seinen Jungen, als sie ihn überreden wollten, sich nach der Mode zu kleiden.
"In diesen Sachen bin ich alt geworden, und in ihnen bleibe ich!" Und er schob seine Pelzmütze zurück, zog seine Pfeife mit dem bemalten Kopf aus der Tasche und paffte ins 1.-Klasse-Abteil Rauchwolken von solchem Gestank, daß er immer mit seinen Jungen allein blieb. Fortsetzung folgt ...

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